Auf den Spuren des Fino – Eine Reise durch Jerez - Teil 1
Manchmal sind Theorie und Praxis eben doch zwei Paar Schuhe. Auch in Jerez im Süden Spaniens, sowie unter der Florhefe, die den Sherry dort vor Luftkontakt schützt. Und ihm sein ganz spezielles Aroma verleiht. Ein Duft, der gerade eben, bei einer Gruppe von Weinleuten auf den Spuren des ungehobenen Sherry-Schatzes mitten in Andalusien, retronasal bis in den Frontallappen des Gehirns vordringt. Dort wo die Genuss- und Wahrnehmungszellen für außergewöhnliche Momente sitzen. Theoretisch. Inmitten der Kathedrale, also der prominentesten Solerahalle von Gutiérrez-Colosia in Puerto de Santamaria, einer der drei Städte, die das Sherry-Dreieck rund um die Hafenstadt Cádiz markieren.
Hefige Noten, eine ganz eigene Salzigkeit und Umami machen sich breit – herzhaft-duftig geht es hier zu. Sherry liegt in der Luft. In der Bodega von Juan Carlos Gutiérrez und seiner Familie. Über, neben und hinter uns: Fässerreihen aufgetürmt, schwarz bepinselt, und voll mit Sherry. Hier atmet man Geschichte und riecht Sherry. Juan Carlos, der Kellermeister und Besitzer der Bodega, wird nicht müde, mit uns von einem schwarzen, Jahrzehnte-alten Sherryfass zum anderen zu laufen. Die Venencia einzutauchen – ein Stab mit einem kleinen Trichter am Ende um die Florhefe nicht zu zerstören – und eine geniale Fassprobe nach der anderen zu präsentieren. Im Schnitt ist der Wein mindestens drei Jahre alt, sagt das Gesetz. In der Praxis wird dieses Durchschnittsalter meist übertroffen. Und doch kommt der Fino leichtfüßig und frisch daher, ohne dabei die Aromen eines gereiften Weins missen zu lassen. Der flüssige Beweis für „man ist so jung wie man sich fühlt“. Denn dieser Wein fühlt sich jung, kraftvoll und dynamisch. Hat aber auch schon Erfahrung im Austausch mit anderen Fässern im weltweit einzigartigen Solera-System gemacht, Zeit gehabt zu reifen und zeigt so ein komplexes und gleichzeitig belebendes Bouquet, das einen selbst ein bisschen jünger macht. So kommt es einem jedenfalls vor, am Glas nippend und auf einer Fino-Wolke aus Umami schwebend. In Büchern steht das nicht. Das ist Sherry-Praxis.
Die Bücher sagen dafür: Fino ist ein sogenannter Fortified Wein aus der weißen Rebsorte Palomino Fino gekeltert. Und mit Weingeist auf maximal 15,5 Volumsprozent aufgespritet. Liegt der Alkoholgrad darüber, so wird aus dem weißen Grundwein ein Oloroso, der oxidativ, also mit Luftkontakt ausgebaut wird. Bei Gutierrez-Colosía gibt es keine Bücher zur Sherrybereitung. Hier wird Jerez gemacht. Und zwar mitunter ein Fino mit 16 Volumsprozent, wie uns Juan Carlos voller Stolz erzählt. Wie jetzt? – 16 Prozent? Bringt der Andalusier vielleicht unmögliche Dinge fertig? Wiederlegt er die Gesetze der Chemie? Die Theorie sagt doch, die für den biologischen Ausbau notwendige Hefeschicht, bei der sich Hefepartikel dazu veranlasst fühlen, an der Oberfläche des zu 4/5-gefüllten Fasses eine luftdichte Hefeschicht zu bilden, funktioniert nur bis zu einem Alkoholgehalt von15,5 Prozent. Höherer Alkohol tötet die Hefe ab. Meistens jedenfalls, wie sich zeigt. Die Florhefe in den vom Fluss Guadalquivir mit ausreichend Luftfeuchte versorgten Fässern von Gutiérrez Colosia hält die 16 Volumsprozent jedenfalls locker aus. Ausnahmen bestätigen die Regel. Eine Theorie, die besonders hier im Marco de Jerez oft zur Regel wird und in Hinblick auf Fino in Ausnahmen mündet, die man sich schmecken lassen kann. Und sollte. In den verschiedensten Varianten. Schließlich hatten wir das große Glück uns Juan Carlos‘ 16 Prozent-Fino auf der Zunge zergehen zu lassen. Immer nur auf Bestellung, frisch abgefüllt – unter der Florhefeschicht hervorgeholt, um als Aperitif, für sich alleine oder als Begleitung zum Fisch zu glänzen. Uns zeigte der Fino mit beeindruckender Samtigkeit und Frische, was die Weine auf dem Marco de Jerez im Süden Spaniens für Ausnahmeweine sind. Trinkbare Geschichte, mit dem Duft von Fino.
Geschrieben von Nina Wessely


18 Mai 2016
